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BFH: Zahlung von Arbeitslohn als anfechtbare Rechtshandlung

Die Zahlung von Arbeitslohn stellt eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. der Insolvenzordnung dar.

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129, § 131 Abs. 1 Nr. 1

BFH-Urteil vom 18.4.2023, VII R 35/19 (veröffentlicht am 9.11.2023)

Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 3.9.2019, 8 K 8260/17

I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Insolvenz­verwalterin über das Vermögen der A‑AG (Schuldne­rin). Auf Antrag der B vom …2015 ordnete das Amtsgericht C mit Beschluss vom …2015 zunächst die vorläufige Insolvenzverwaltung an; mit Beschluss vom …2015 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Schuldnerin meldete am …2015 für den Monat … 2015 Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer in Höhe von insgesamt … € an. Die gesamten Nettolöhne überwies die Schuldnerin am …2015, die ange­meldete Lohnsteuer zahlte sie nicht.

Mit Bescheid vom 27.05.2016 setzte der Beklagte, Revisionskläger und Revi­sionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Körperschaftsteuer für 2014 auf … € fest. Nach Abzug der im Jahr 2014 geleisteten Vorauszahlungen ergab sich ein Gut­haben in Höhe von … € Körperschaftsteuer sowie … € Solidaritäts­zuschlag zur Körperschaftsteuer (insgesamt … €), welches das FA auf die Lohnsteuerverbindlichkeiten umbuchte.

Am 31.05.2016 erklärte die Klägerin gegenüber dem FA, dass sie die Aufrech­nung für unzulässig halte, und bat um Überweisung des Guthabens zur Masse in Höhe von … € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz pro Jahr seit dem …2015. Die Klägerin widersprach der Umbuchung zudem mit einem weiteren Schreiben vom 20.07.2016 (vgl. auch Schreiben vom 08.11.2016 und vom 10.02.2017). Hierbei machte sie nur noch einen Betrag in Höhe von … € geltend, weil sie die Umbuchung bezüg­lich der Umsatzsteuer 2014 in Höhe von … € anerkannte. Da das FA an der Umbuchung festhielt, beantragte die Klägerin am 29.03.2017 den Erlass eines Abrechnungsbescheids.

Mit Abrechnungsbescheid vom 08.05.2017 rechnete das FA entsprechend sei­ner Umbuchungsmitteilung über Lohnsteuer sowie Nebenabgaben zur Lohn­steuer für … 2015 ab. Angaben zur begehrten Zinsfestsetzung enthielt der Bescheid nicht.

Mit Einspruchsentscheidung vom 13.09.2017 wies das FA den Einspruch der Klägerin gegen den Abrechnungsbescheid zurück, weil die Aufrechnung nicht gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 der Insolvenzordnung (InsO) unzulässig sei. Die streitgegenständliche Aufrechnungslage beruhe nicht auf einer anfechtbaren Rechtshandlung, da die Lohnsteuer im Zeitpunkt der Erfüllung der Tatbe­standsvoraussetzungen kraft Gesetzes entstehe und es auf den Willen des Steuerpflichtigen nicht ankomme. Das weite Verständnis der Klägerin vom Be­griff der Rechtshandlung führe zu einem vollständigen Ausschluss der Aufrech­nung von Steuerforderungen im Insolvenzfall. Zu den von der Klägerin be­gehrten Zinsen enthielt die Einspruchsentscheidung keine Ausführungen.

Dagegen erhob die Klägerin Klage und begehrte einen Auszahlungsbetrag in Höhe von … € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr seit dem …2015.

Das Finanzgericht (FG) änderte den Abrechnungsbescheid vom 08.05.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend, dass ein Auszahlungsbetrag in Höhe von … € festgestellt wurde, und wies die Klage im Übrigen ab. Nach seiner Auffassung war die Aufrechnung durch das FA unwirksam, weil dieser ein insolvenzrechtliches Aufrechnungsverbot entgegenstand. Die stritti­gen Guthaben zur Körperschaftsteuer und zum Solidaritätszuschlag zur Kör­perschaftsteuer 2014 resultierten aus Steuervorauszahlungen für den Veranla­gungszeitraum 2014. Der Erstattungsanspruch der Schuldnerin sei in voller Höhe durch diese Vorauszahlungen unter der aufschiebenden Bedingung ent­standen, dass am 31.12.2014 (Ende des Besteuerungszeitraums) die geschul­dete Steuer geringer sei als die Vorauszahlung. Der Aufrechnung stehe jedoch § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen. Im Streitfall liege eine Rechtshandlung im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO vor, weil die Anstellung der Arbeitnehmer durch die Schuldnerin und die Bezahlung der Arbeitslöhne vom Willen getragenes Handeln darstellten, das rechtliche Wirkungen auslöse und das Vermögen der Schuldnerin zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändert habe. Das FA habe keinen Anspruch auf diese Rechtshandlungen gehabt.

Die Klage auf Erweiterung des Abrechnungsbescheids in Bezug auf die Zinsen sei unzulässig, weil es insoweit an dem erforderlichen Vorverfahren fehle. Das FA habe noch nicht rechtsmittelfähig über den Zinsanspruch entschieden.

Das FG ließ im Tenor der Vorentscheidung die Revision zu. In der Rechtsmit­telbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde angefochten werden könne. Der Berichterstatter hielt nach einer Nachfrage des FA in einem Vermerk vom 22.10.2019 fest, dass die Revi­sion zugelassen werden sollte.

Die Vorentscheidung wurde dem FA am 27.09.2019 mit Empfangsbekenntnis zugestellt.

Der Klägerin wurde die Vorentscheidung am 05.11.2019 mit Postzustellungs­urkunde zugestellt, nachdem sie dem FG mit Schreiben vom 01.11.2019 mit­geteilt hatte, dass ihr das Urteil bislang nicht zugestellt worden sei.

Beide Beteiligte legten gegen das Urteil des FG Revision ein.

Das FA begründet seine Revision mit der Verletzung materiellen Bundesrechts. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe im Zusammenhang mit einer Zwangsvoll­streckungsmaßnahme entschieden, dass es an einer Rechtshandlung fehle, wenn der Schuldner trotz der Vollstreckungsmaßnahme seinen Geschäftsbe­trieb in der bisher geübten Weise fortsetze. Diese Rechtsprechung sei auf den Streitfall übertragbar und treffe auf alle Anfechtungstatbestände der §§ 130 ff. InsO zu. Die Aufrechnung sei daher schon mangels anfechtbarer Rechtshand­lung nicht zu beanstanden. Es seien aber auch die weiteren Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 i.V.m. § 131 InsO nicht gegeben. Da die Hauptforderung der Klägerin gegen das FA bereits bestanden habe, als die Gegenforderung be­gründet worden sei, habe es auf die Möglichkeit der Tilgung einer noch entste­henden Forderung gegen die Schuldnerin durch Aufrechnung vertrauen dürfen. Entstehe in der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation eine Aufrech­nungslage, stelle dies allenfalls einen Fall der kongruenten Deckung gemäß § 130 InsO dar. Feststellungen zur Zahlungsunfähigkeit der Klägerin und dazu, wann es ‑‑das FA‑‑ davon Kenntnis erhalten habe, habe das FG jedoch nicht getroffen. Im Übrigen sei auch das Erfordernis der Monatsfrist nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht erfüllt, weil nicht erkennbar sei, dass die Anstellung der Arbeitnehmer in dem Zeitraum von einem Monat vor Insolvenzantragstel­lung erfolgt sei. Auf die Gehaltszahlungen könne nicht abgestellt werden, weil es sich dabei nur um die Erfüllung der bereits bestehenden und früher begrün­deten vertraglichen Pflichten der Klägerin handele. Zur Frage der Verzinsung habe sich das FA weder im Abrechnungsbescheid noch in der Einspruchsent­scheidung geäußert, sodass es den Antrag auf Zahlung von Zinsen nicht kon­kludent abgelehnt habe.

Das FA beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben, soweit der Klage stattgegeben wurde, und die Klage auch insoweit abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision des FA zurückzuweisen.

Darüber hinaus beantragt die Klägerin sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, und den Abrechnungsbescheid vom 08.05.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.09.2017 dahingehend zu ändern, dass ein Auszahlungsbetrag in Höhe von … € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten pro Jahr über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem …2015 festgestellt werde.

Die Klägerin begründet ihre Revision ebenfalls mit der Verletzung materiellen Bundesrechts. Das FG hätte den Sachverhalt dahingehend würdigen müssen, dass das Vorverfahren gemäß § 44 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auch hinsichtlich der Zinsen durchgeführt worden sei und das FA den Zinsanspruch rechtsmittelfähig zurückgewiesen habe. Das FA habe den Zinsanspruch in sei­ner Einspruchsentscheidung zwar nicht explizit angesprochen. Dies sei jedoch nicht erforderlich, um diesen zum Gegenstand der Einspruchsentscheidung zu machen.

Bei einer Beschäftigung der Arbeitnehmer sowie der Zahlung der Gehälter, durch welche die zur Aufrechnung gestellten Lohnsteuerverbindlichkeiten aus­gelöst worden seien, handele es sich um Rechtshandlungen. Das BGH-Urteil vom 01.06.2017 ‑ IX ZR 48/15 sei nicht auf den Streitfall übertragbar, weil die Herbeiführung der Aufrechnungslage hier schon nicht auf einer vorangegange­nen vermögensverlagernden Vollstreckungsmaßnahme beruhe. Es sei kein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Nehme man an, dass eine Rechtshandlung im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO schon immer dann nicht vorliege, wenn der Schuldner Leistungen im Rahmen seines üblichen Ge­schäftsbetriebs erbringe, wäre das Institut der Insolvenzanfechtung praktisch ausgeschaltet. Darüber hinaus komme es entgegen der Auffassung des FA für die Frage der Inkongruenz beziehungsweise Kongruenz nicht darauf an, in welcher Reihenfolge Forderung und Gegenforderung entstanden seien. Für den Zeitpunkt der Herbeiführung der Aufrechnungslage sei nicht auf die Abschlüsse der Anstellungsverträge abzustellen, weil die rechtlichen Wirkungen der Rechtshandlung in dem Zeitpunkt einträten, in dem der Arbeitslohn dem Ar­beitnehmer zufließe.

Das FA beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündli­chen Verhandlung verzichtet.

II. Der Senat entscheidet gemäß § 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

III. Die Revisionen sind zulässig.

1. Das FG hat die Revision in der Vorentscheidung zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO). Dies ergibt sich aus dem Ausspruch zur Zulassung der Revision im Tenor sowie aus der Begründung der Vorentscheidung (unter III.) und wird ferner durch einen Vermerk des Berichterstatters vom 22.10.2019, den er zu einer diesbezüglichen Nachfrage des FA verfasst hatte, bestätigt. Dementsprechend widerspricht die Rechtsmittelbelehrung, in der das FG auf die Möglichkeit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hingewiesen hat, dem klaren Willen des FG. Dies wertet der erkennende Senat als offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 107 FGO.

Nach § 107 Abs. 1 FGO sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenba­re Unrichtigkeiten vom Gericht zu berichtigen. Eine offenbare Unrichtigkeit kann sich auch aus einer falschen Rechtsmittelbelehrung ergeben (vgl. Be­schluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 16.09.2009 ‑ IX B 68/09, BFH/NV 2009, 2001). Die Berichtigung ist nicht antrags- oder fristgebunden und ist jederzeit vom Gericht durchzuführen. Ist gegen das Urteil des betroffenen Ge­richts ein Rechtsmittel eingelegt, so ist der BFH neben dem FG für die Berich­tigung zuständig (vgl. BFH-Beschluss vom 22.03.2016 ‑ VIII B 130/14, VIII B 17/15, Rz 6; vgl. auch BFH-Urteil vom 13.05.2015 ‑ III R 8/14, BFHE 249, 422, Rz 40, m.w.N.).

Ausgehend von diesen rechtlichen Grundlagen und dem tatsächlichen Willen des FG wurde die Rechtsmittelbelehrung in der Vorentscheidung mit Beschluss vom 18.04.2023 gemäß § 107 Abs. 1 FGO korrigiert. Die Berichtigung ist auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt worden (§ 107 Abs. 2 Satz 2 FGO).

2. Die Revision wurde von beiden Beteiligten innerhalb der Frist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO eingelegt.

a) Da dem FA das Urteil laut Empfangsbekenntnis am 27.09.2019 zugestellt wurde, begann die Frist zur Einlegung der Revision gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) und § 187 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am 28.09.2019 (Samstag) und endete gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO sowie § 188 Abs. 2 BGB am 28.10.2019 (Montag). Die Revision des FA ging am 28.10.2019 beim BFH ein.

b) Ausgehend von der Zustellung des Urteils an die Klägerin am 05.11.2019 mit Postzustellungsurkunde begann die Frist zur Einlegung der Revision am 06.11.2019 und endete gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO und § 188 Abs. 2 BGB am 05.12.2019 (Donnerstag). Die Revision der Klägerin ging am 04.12.2019 beim BFH ein.

Dass die Klägerin das Urteil tatsächlich bereits am 27.09.2019 erhalten hat, kann anhand der FG-Akten nicht eindeutig nachvollzogen werden. Vielmehr besteht die Möglichkeit, dass dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nur das Empfangsbekenntnis und nicht auch das Urteil übermittelt wurde.

IV. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Vorentscheidung entspricht insoweit Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FG hat den Abrechnungsbescheid vom 08.05.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu Recht dahingehend geändert, dass ein Auszah­lungsbetrag in Höhe von … € festgestellt wird.

1. Gemäß § 218 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) ergeht unter anderem dann ein Abrechnungsbescheid, wenn die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) und ihr Erlöschen (§ 47 AO) durch Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB) streitig sind (vgl. z.B. Senatsurteil vom 18.02.2020 ‑ VII R 39/18, BFHE 268, 391, BStBl II 2023, 224, Rz 22, m.w.N.).

Im Streitfall hat das FA zu Recht einen Abrechnungsbescheid erlassen, weil streitig ist, ob der Anspruch der Schuldnerin auf Erstattung von Körperschaft­steuer und Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer durch Aufrechnung er­loschen ist. Die Klägerin macht keinen Rückgewähranspruch nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO geltend, für den der ordentliche Rechtsweg eröffnet wäre.

2. Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung gemäß § 226 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB waren erfüllt.

a) Die sich gegenüberstehenden Forderungen waren gleichartig, weil es sich sowohl bei den Lohnsteuerforderungen als auch bei dem Körperschaftsteuerer­stattungsanspruch um Geldforderungen handelte.

b) Es handelte sich um gegenseitige Forderungen, weil sie im Verhältnis zwi­schen der Schuldnerin und dem FA jeweils gegen den anderen gerichtet wa­ren.

c) Die Lohnsteuerforderung für … 2015 war gemäß § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) am zehnten Tag nach Ablauf des jeweiligen Lohnsteuer-Anmeldezeitraums ‑‑vorliegend der Kalendermonat nach § 41a Abs. 2 Satz 1 EStG‑‑ fällig, mithin am …2015 (…). Für den Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer zur Lohnsteuer gelten diese Regelungen entsprechend (vgl. § 1 Abs. 2 des Solidaritätszuschlaggesetzes a.F. und § 6 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften…).

Insbesondere war der Körperschaftsteuererstattungsanspruch erfüllbar.

Erfüllbarkeit bezeichnet den Zeitpunkt, von dem ab der Schuldner leisten darf (vgl. Grüneberg/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Aufl., § 271 Rz 1).

Steuererstattungsansprüche aufgrund von Steuervorauszahlungen entstehen im Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung. Auf die Festsetzung des Erstattungsanspruchs in einem Erstattungsbescheid kommt es nicht an (BFH-Urteil vom 23.02.2011 ‑ I R 38/10, Rz 13, m.w.N.).

Da der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am …2015 und da­mit deutlich nach Ablauf des Veranlagungszeitraums gestellt wurde, bestand der Erstattungsanspruch bereits vor diesem Zeitpunkt und war daher erfüllbar. Wann genau der Zeitpunkt der Erfüllbarkeit eintrat, kann dahinstehen.

Dass die Umbuchung auf die Lohnsteuer bereits am Tag vor der Festsetzung des Körperschaftsteuerguthabens erfolgt war, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, weil es auf die Festsetzung des Erstattungsguthabens nicht ankommt.

3. Das FG hat zu Recht angenommen, dass der Aufrechnung ein Aufrech­nungsverbot im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegenstand.

a) Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein In­solvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne von §§ 129 ff. InsO erlangt hat.

§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO verfolgt das Ziel, den Anfechtungsvorschriften der In­solvenzordnung (§§ 129 ff. InsO) im Hinblick auf eine von einem Insolvenz­gläubiger erklärte Aufrechnung in dem Sinne Geltung zu verschaffen, dass ei­ner etwaigen Aufrechnungserklärung die Rechtswirkung genommen und da­durch eine anderenfalls etwa notwendige Anfechtung der betreffenden Rechts­vorgänge seitens des Insolvenzverwalters überflüssig wird (vgl. Windel in Jaeger, Insolvenzordnung, § 96 Rz 45 f.; Uhlenbruck/Sinz, Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 96 Rz 46). Sie ist dahin zu verstehen, dass der Erwerb der Mög­lichkeit der Aufrechnung zugunsten eines späteren Insolvenzgläubigers erfolgt sein muss, dieser also nicht etwa bereits beim Erwerb dieser Möglichkeit Insol­venzgläubiger, mithin das Insolvenzverfahren beim Erwerb noch nicht anhän­gig gewesen sein muss. Vielmehr schränkt § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO gerade § 94 InsO ein, der grundsätzlich eine vor Verfahrenseröffnung eingetretene Auf­rechnungslage während des Insolvenzverfahrens fortbestehen lässt und die Abgabe einer Aufrechnungserklärung während desselben zulässt (Karsten Schmidt/Thole, InsO, 20. Aufl., § 96 Rz 12; Senatsurteil vom 02.11.2010 ‑ VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374, Rz 19).

b) Im Streitfall liegen die in § 129 InsO geregelten allgemeinen Voraussetzun­gen der Insolvenzanfechtung vor.

aa) Das FA ist Insolvenzgläubiger der Lohnsteuerforderung, weil diese vor Er­öffnung des Insolvenzverfahrens am …2015 begründet und noch nicht beglichen wurde (§ 38 InsO).

bb) Im Streitfall liegt weiterhin eine anfechtbare Rechtshandlung vor.

(1) Der Begriff der Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO ist weit aus­zulegen. Als Rechtshandlung kommt jede Handlung in Betracht, die zum Er­werb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt, das heißt ein von einem Willen getragenes Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermö­gen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (BGH-Urteil vom 22.10.2009 ‑ IX ZR 147/06, unter II.2.b aa, m.w.N.; vgl. auch BGH-Urteil vom 20.04.2017 ‑ IX ZR 252/16, BGHZ 214, 350, Rz 28). Erfasst werden nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch rechtsgeschäfts-ähnliche Handlungen und Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst (BGH-Urteile vom 22.10.2009 ‑ IX ZR 147/06, unter II.2.b aa; vom 14.12.2006 ‑ IX ZR 102/03, BGHZ 170, 196, unter II.3.a, m.w.N., zum Ein­bringen einer Sache, das zu einem Vermieterpfandrecht führt und vom 09.07.2009 ‑ IX ZR 86/08, unter II.2.c aa, m.w.N., zum Brauen von Bier, welches die Biersteuer und die Sachhaftung des Bieres entstehen lässt). Dass die Rechtswirkungen (unab­hängig vom Willen der Beteiligten) kraft Gesetzes eintreten, ist dabei unbe­achtlich (vgl. Senatsurteil vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 20 f., unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung im Senatsurteil vom 16.11.2004 ‑ VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193).

Unter anderem hat der erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem BGH und der allgemein vertretenen Auffassung die Leistungserbringung im Umsatz­steuerrecht als eine Rechtshandlung im Sinne des § 129 InsO angesehen (vgl. Senatsurteile vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 20 f. und vom 02.11.2010 ‑ VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374, Rz 25; Probst in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, VIII.4.3.3 Rz 190; Kirch in eKomm Ab 09.06.2021, § 251 AO, Rz 57; Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 251 AO Rz 266). Die Umsatzsteuer entsteht zwar von Gesetzes wegen, das Entstehen von Umsatzsteuer bezie­hungsweise Vorsteuer setzt jedoch voraus, dass eine Leistung erbracht wird (Senatsurteil vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 20). Auch der XI. Senat hat entschieden, dass Handlungen des Schuldners oder Dritter, die zum Entstehen einer Umsatzsteuerschuld führen, eine Rechtshandlung darstellen, durch die das Schuldnervermögen belastet wird (BFH-Urteil vom 03.08.2022 ‑ XI R 44/20, BFHE 277, 46, Rz 27). Nach dem erkennenden Senat ist diese Rechtsprechung ‑‑unter Aufgabe seiner bis­herigen Rechtsprechung im Senatsbeschluss vom 21.12.1998 ‑ VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745, unter 3.‑‑ auch auf die Lohnsteuer anzuwenden; auf den Umstand, dass die Lohnsteuer kraft Gesetzes durch Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG mit Zah­lung des Arbeitslohns, entsteht und nicht durch die Rechtshandlung selbst, kommt es nicht an.

Darüber hinaus hat der erkennende Senat auch die Herstellung einer Aufrech­nungslage durch Rechtshandlungen als eigenständige Rechtshandlung angese­hen und ihre selbständige Anfechtbarkeit bejaht (vgl. Senatsurteil vom 18.02.2020 ‑ VII R 39/18, BFHE 268, 391, BStBl II 2023, 224, Rz 37; vgl. auch BGH-Urteil vom 22.10.2009 ‑ IX ZR 147/06). Die Her­stellung einer Aufrechnungslage durch Rechtshandlungen wirkt grundsätzlich gläubiger-benachteiligend im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO, da sich die Befriedi­gungsmöglichkeiten der übrigen Insolvenzgläubiger durch eine wirksame Auf­rechnung eines Insolvenzgläubigers verschlechtern (vgl. BGH-Urteil vom 22.10.2009 ‑ IX ZR 147/06, Rz 11; Senatsurteil vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 22 ff.).

Dass die Rechtshandlung unmittelbar und unabhängig vom Hinzutreten etwai­ger weiterer Umstände (zum Beispiel Abgabe einer Steueranmeldung) eine Aufrechnungslage zum Entstehen bringen müsste, setzt § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht voraus. Er verlangt lediglich, dass die Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, sie irgendeine Voraussetzung für die Aufrechnungsmöglichkeit des Insolvenzschuldners geschaffen hat und die Insolvenzgläubiger benachteiligt (Senatsurteile vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 21, m.w.N. und vom 02.11.2010 ‑ VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374, Rz 26, m.w.N.).

(2) Im Streitfall hat die Schuldnerin dadurch eine Rechtshandlung vorgenom­men, dass sie im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenz­verfahrens, der seitens der B am …2015 gestellt worden war, ihren Arbeitnehmern am …2015 Lohn überwiesen hat.

cc) Diese Rechtshandlung hat auch zu einer objektiven Gläubigerbenachteili­gung geführt. Denn durch die Überweisung der Löhne ist bei der Schuldnerin insofern eine Verschlechterung der Vermögenssituation eingetreten, als sie infolgedessen für die Entrichtung der Lohnsteuer einzustehen hatte. Wie be­reits aufgezeigt, entsteht die Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt. Zwar ist gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG der Arbeitnehmer Schuldner der Lohnsteuer. Der Arbeitgeber haftet jedoch gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohn­steuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Der Haftungsanspruch ent­steht (§ 38 AO), sobald die einzubehaltende Lohnsteuer zum Fälligkeitszeit­punkt nicht an das FA abgeführt wird (Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 42d Rz 10). Dadurch besteht ‑‑zumindest mittelbar‑‑ die Möglichkeit, dass das Vermögen der Schuldnerin beeinträchtigt wird.

dd) Auch die Kausalität zwischen der Rechtshandlung und der objektiven Gläubigerbenachteiligung liegt vor, weil gerade durch die Zahlung der Löhne die Lohnsteuerschuld entstanden ist.

ee) Des Weiteren liegt ausgehend von der oben dargestellten Senatsrechtspre­chung eine Rechtshandlung auch darin, dass infolge der Zahlung der Arbeits­löhne eine Aufrechnungsmöglichkeit zugunsten des FA geschaffen wurde.

c) Das FG hat auch zu Recht die (besonderen) Voraussetzungen einer inkon­gruenten Deckung im Sinne von § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO bejaht.

Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insol­venzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insol­venzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.

aa) Die Überweisung des Lohns wurde im Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und somit innerhalb der in § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO genannten Frist vorgenommen.

bb) Auch hat die Überweisung des Arbeitslohns zur Entstehung der Lohnsteuer und in der weiteren Folge zur Entstehung einer Aufrechnungslage geführt, so­dass dem FA eine Möglichkeit zur Befriedigung gegeben wurde. Denn gemäß § 389 BGB bewirkt die Aufrechnung, dass die Forderungen, soweit sie sich de­cken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind. Eine unmittelbare Befriedigung des FA (Gewährung einer Befriedigung) ist demgegenüber noch nicht anzuneh­men, weil die Aufrechnung zunächst noch von einer entsprechenden Erklärung des FA gemäß § 388 BGB abhing.

cc) Das FA hatte keinen Anspruch auf die Befriedigungsmöglichkeit im Wege der Aufrechnung.

Nach der Rechtsprechung des BGH richtet sich die Beurteilung, ob die Begrün­dung der Aufrechnungslage zu einer kongruenten oder einer inkongruenten Deckung führt, danach, ob der Aufrechnende einen Anspruch auf Abschluss der Vereinbarung hatte, welche die Aufrechnungslage entstehen ließ, oder ob dies nicht der Fall war. Dabei stellt der BGH maßgeblich auf das zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger bestehende Rechtsverhältnis ab (BGH-Urteil vom 08.12.2022 ‑ IX ZR 175/21, Rz 7, m.w.N.). Allerdings setzt eine die Aufrechnungsbefugnis begründende Verknüpfung zwischen Haupt- und Gegenforderung nicht voraus, dass die Aufrechnung ausdrücklich vereinbart wird, weil es sich bei dieser um ein echtes Erfüllungssurrogat han­delt. Die Einordnung des Erwerbs einer Aufrechnungslage als kongruent oder inkongruent richtet sich also entscheidend nach dem Inhalt der Rechtsbezie­hungen zwischen dem Insolvenzschuldner und seinem Gläubiger (BGH-Urteil vom 08.12.2022 ‑ IX ZR 175/21, Rz 9, m.w.N.). Somit ist § 131 InsO einschlägig (und nicht ein Fall einer sogenannten kongruenten De­ckung gemäß § 130 InsO gegeben), wenn sich die Aufrechnungsbefugnis nicht aus dem zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger zuerst entstandenen Rechtsverhältnis ergibt (BGH-Urteil vom 09.02.2006 ‑ IX ZR 121/03, un­ter II.1.; vgl. u.a. auch BGH-Urteil vom 05.04.2001 ‑ IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233; vgl. dazu auch Senatsurteil vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 34).

Im Streitfall bestand ein Anspruch des FA auf Begleichung der Lohnsteuer durch Zahlung, nicht aber darauf, dem FA die Möglichkeit einer Erfüllung des Körperschaftsteuererstattungsanspruchs der Schuldnerin durch Aufrechnung zu verschaffen. Die Aufrechnungslage ist vielmehr dadurch entstanden, dass die Schuldnerin die Lohnzahlung geleistet hat, ohne dass sich dies aus einem Rechtsverhältnis zwischen der Schuldnerin und dem FA ergeben hätte oder dieses darauf auch nur hätte Einfluss nehmen können. Auch eine gesetzliche Privilegierung des FA gegenüber den anderen Insolvenzgläubigern bestand nicht. Ohne die ‑‑eher zufällig entstandene‑‑ Möglichkeit der Aufrechnung hät­te das FA die Steuererstattung zur Masse auszahlen müssen und die Lohn­steuerforderung gemäß §§ 174 ff. InsO zur Tabelle anmelden können.

4. Da das FA die Aufrechnung somit nicht wirksam erklärt hat, ist der An­spruch der Schuldnerin auf Erstattung von Körperschaftsteuer und Solidari­tätszuschlag zur Körperschaftsteuer für 2014 nicht gemäß § 47 AO erloschen.

V. 1. Die Revision der Klägerin ist begründet und die Vorentscheidung daher in­soweit aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Die Vorentscheidung ver­letzt insoweit Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Sache ist zur ander­weitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, weil das FG ‑‑von seinem rechtlichen Standpunkt aus zu Recht‑‑ bislang keine Feststellungen zu den Voraussetzungen des geltend gemachten Zinsanspruchs getroffen hat.

a) Die Klägerin hat vor dem FG eine Änderung des Abrechnungsbescheids vom 08.05.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.09.2017 dahinge­hend beantragt, dass neben dem begehrten Auszahlungsbetrag auch Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr seit dem …2015 festgestellt werden. Tatsächlich war das Klagebegehren der Klägerin jedoch auf Auszahlung von Zinsen gerichtet.

aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ist das Gericht an die Fassung des Klageantrags nicht gebunden, sondern hat im Wege der Auslegung den Willen der Partei anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (BFH-Urteil vom 12.06.1997 ‑ I R 70/96, BFHE 183, 465, BStBl II 1998, 38, unter II.1., m.w.N.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstan­denen Interessenlage entspricht (BFH-Urteil vom 29.04.2009 ‑ X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777, m.w.N.). Nur eine solche Auslegung trägt dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 des Grundge­setzes Rechnung (BFH-Urteil vom 27.01.2011 ‑ III R 65/09, Rz 10, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 21.10.2020 ‑ VII B 121/19, Rz 24).

Eine Auslegung findet ihre Grenze in dem erklärten Willen des Klägers. Ist der Klageantrag schon dem Wortlaut nach eindeutig gestellt und wird dieser Wort­laut durch die Ausführungen des Klägers im Übrigen gestützt, so ist für eine Auslegung durch das Gericht kein Raum mehr (Senatsurteil vom 13.12.1994 ‑ VII R 18/93, BFH/NV 1995, 697, unter II.).

Allerdings unterscheidet § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO zwischen dem Klagebegehren und der "Fassung der Anträge" und stellt dabei letztlich auf das Klagebegehren ab. Daraus folgt, dass, wenn das FG auf die wörtliche Fassung des Klagean­trags abstellt, obwohl dieser dem erkennbaren Klageziel des Klägers nicht ent­spricht, auch dies einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO begründet (vgl. BFH-Urteile vom 14.09.2017 ‑ IV R 34/15, Rz 16 und vom 04.09.2008 ‑ IV R 1/07, BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335, unter II.3.a, m.w.N.; BFH-Be­schlüsse vom 27.06.2017 ‑ X B 106/16, Rz 22 und vom 19.08.2015 ‑ V B 26/15, Rz 18, jeweils m.w.N.).

Maßgeblich ist letztlich stets das materielle Ziel der Klage und nicht dessen Formalisierung durch einen Antrag (vgl. BFH-Beschlüsse in vom 27.06.2017 ‑ X B 106/16, Rz 22 und vom 19.08.2015 ‑ V B 26/15, Rz 18; vgl. auch Lange in HHSp, § 96 FGO Rz 177; Seer in Tipke/Kruse, § 96 FGO Rz 97).

Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO ist auch ohne ausdrückliche Rüge zu beachten und zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil da­durch die Ordnungsmäßigkeit des ganzen weiteren Verfahrens betroffen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 17.07.2019 ‑ II B 31/18, Rz 10, m.w.N.).

Zu einer rechtsschutzgewährenden Auslegung des Klagebegehrens ist der er­kennende Senat im Revisionsverfahren ohne Bindung an die Würdigung des FG befugt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11.12.2018 ‑ VIII R 11/16, BFHE 263, 418, Rz 30 und vom 01.03.2018 ‑ IV R 38/15, BFHE 260, 543, BStBl II 2018, 587, Rz 30, jeweils m.w.N.).

bb) Davon ausgehend ist das Klagebegehren der Klägerin dahingehend zu ver­stehen, dass sie einen insolvenzrechtlichen Anspruch auf Zahlung von Zinsen nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 und §§ 291, 288 Abs. 1 BGB im Wege einer allgemeinen Leistungsklage gemäß § 40 Abs. 1 Alternative 3 FGO geltend macht. Dies schließt der Senat zum einen aus den von der Klägerin angegebenen zivilrechtlichen Rechtsgrundlagen und zum an­deren daraus, dass die Klägerin bereits gegenüber dem FA einen entsprechen­den Zahlungsanspruch geltend gemacht hat. Dazu kommt, dass das FA nicht befugt wäre, den insolvenzrechtlichen Zahlungsanspruch im Wege eines Ab­rechnungsbescheids festzusetzen, sodass dem Rechtsschutzbegehren der Klä­gerin im Abrechnungsverfahren nicht entsprochen werden kann. Denn der An­spruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr (vermeintlich) in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern nach § 143 Abs. 1 InsO ist kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne des § 37 Abs. 1 AO, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch (Senatsurteil vom 12.11.2013 ‑ VII R 15/13, BFHE 243, 309, BStBl II 2014, 359, Rz 6). Dies gilt auch für den Zinsanspruch, der sich ebenfalls nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO beurteilt (vgl. BGH-Urteile vom 24.09.2015 ‑ IX ZR 55/15, Rz 21; vom 12.04.2018 ‑ IX ZR 88/17, Rz 31 ff. und vom 10.12.2020 ‑ IX ZR 80/20, Rz 24).

b) Der erkennende Senat ist an die (inzidente) Entscheidung des FG zum Rechtsweg gebunden. Denn das Revisionsgericht prüft gemäß § 17a Abs. 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Rechtsmittelverfahren gegen die Ent­scheidung in der Hauptsache nicht mehr, ob der beschrittene Rechtsweg zu­lässig ist (vgl. auch Senatsurteil vom 10.11.2020 ‑ VII R 8/19, Rz 41). Eine entsprechende Rüge hinsichtlich des eingeschlagenen Rechtswegs haben die Beteiligten nicht erhoben.

c) Die allgemeine Leistungsklage ist zulässig. Insbesondere ist die vorherige Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens nach § 44 FGO nicht er­forderlich (vgl. auch BFH-Urteile vom 14.04.2021 ‑ X R 25/19, BFHE 272, 319, Rz 23 und vom 19.04.2012 ‑ III R 85/09, BFHE 237, 145, BStBl II 2013, 19, Rz 10).

2. Im zweiten Rechtsgang wird das FG prüfen müssen, ob die Voraussetzun­gen für einen Zinsanspruch nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO (in der jeweils gel­tenden Fassung) i.V.m. § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 und §§ 291, 288 Abs. 1 BGB erfüllt sind.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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